M is for … 

ERÖFFUNG | 27.03.2021 | 10:00 – 14:00

27.03 – 24.04.2021 

Die Künstlerin ist anwesend! 



Der Affe ist das uns Menschen in Abstammung und Verhalten nächste Lebewesen. Affig beschreibt nicht etwas grundsätzlich Unmenschliches, nur ein Überstrapazieren des (etwa in Kleidung oder Haltung) Gebotenen. Der Affe zeigt durchaus menschliche Züge – etwa die Fähigkeit, selbsttätig zu lernen, sich auf seine physische und soziale Umwelt entsprechend seinen Trieben einzulassen, vorgegebenen Regeln zu folgen – und also ein Verhältnis von Natur und Kultur, welches unserem nicht grundsätzlich fremd, nur etwas anders ausbalanciert ist. In der dichterischen Fantasie schwingt sich der Affe daher leichthin auf zu einer Menschlichkeit, die in Franz Kafkas „Bericht für eine Akademie“ mehr Probleme mit gesellschaftlichen Konventionen als mit der Zähmung eigener Wildheit hat, was ihn, wie jüngst in Haruki Murakamis Erzählung „Bekenntnis des Affen von Shinagawa“, auch vor Sozialisationsprobleme stellt, die unter seinesgleichen fast ausgeprägter als in menschlicher Gesellschaft sind. In beiden Fällen spricht der Affe den Menschen in dessen Sprache an, hat sich in der etwas mehr als hundertjährigen Zwischenzeit aber von einem vor die hohen Herren der Akademie Zitierten zu einem Gesprächspartner auf Augenhöhe fortentwickelt und wird damit – womöglich ungewollt – zu einem Zeugen für die Erfolgsaussichten kluger und geduldiger Erziehung, wobei ein wieder ganz Natürlich-Werden ohnehin nicht, weder bei Kafka noch bei Murakami, zur Debatte steht.


Weit plausibler gerät das Affenbild in Veronika Hauers Zeichnungen. Gegenüber ihren Auftritten in der Ausstellung „My Summer is your Winter“ (Grazer Kunstverein, 2019) sind die Affen nun weniger schrill in Farbe und Betragen, auch weniger ungestüm und aus dem Rahmen. Trotzdem bleiben sie unheimlich, nicht leicht berechenbar, ein gutes Stück unergründlich, entrückt. Sie entsprechen der Menschlichkeit und Wildheit des Affen im Verschränken von hieratischer Strenge oder melancholischem Abwenden, die sich in den Blicken bewahrt haben, mit einer weit ausgelasseneren Bewegtheit um diese herum. Dem korrespondiert ein Zeichnen, das selbst dichotomisch verfasst ist, zwei Logiken ineinandergreifen lässt. Es verschränkt ein kritzelnd Am-Punkt-Bleiben, woraus sich ein gleichwohl nie formsprengendes und rasterähnlich strukturiertes, innerhalb seiner Grenzen aber durchaus ausgelassenes Tänzeln der Linie ergibt, mit einem weitaus fahrigeren, fetzigeren Ausholen, das aber gleichzeitig den felligen Körper in zueinander parallelen Schwüngen modelliert. Bis in die Mikrostruktur hinein bewahrt die Zeichnung der Affen, was deren Charakter als Gegeneinander von „Kultur“ und „Natur“ bestimmt und – als Wechselspiel von Skript und Ereignis oder von Sprache und Ausdruck – von jeher auch zu den Grundproblemen performativer Settings gehört, die Hauer, quer durch ihr Schaffen, in wechselnden Formaten aber gleichbleibender Klarheit anspricht. Mit dem Affen spricht Hauer den Prototyp des Narren, des Performers an. Sie hängt ihn uns als Vorbild vor die Nase, gibt uns eine vage Vorstellung, wie in Handhabung der Kokosnuss-Abformungen – ihr Scheitel scheint einem Affengesicht zu ähneln, bei Bewegung machen sie leise Geräusche – ein wenig an Narrenfreiheit zu gewinnen wäre.


Zum Ausbalancieren der in den Affenporträts angestimmten Differenzen liegt es förmlich auf der Hand, Impulsen aus pädagogischen Zusammenhängen zu folgen, also dort auf Anregungen und Anleihen zu stoßen, wo die Methoden am vielleicht Deutlichsten auf ein Austarieren von Zwang und Freiheit ausgerichtet sind, auch wenn das Ziel, wie beim Spracherwerb (der manchem Menschen schon mehr Probleme gemacht haben dürfte als den Affen bei Kafka und Murakami), in einem In-Fleisch-und-Blut-Übergehen liegt, wie es Hauers Objekten „L (left)“ und „I“ im Verschmelzen von Buchstaben und Bein bzw. der beiden – ursprünglich (bei Wilhelm Worringer) als Gegenpole verstandenen – Modi Abstraktion und Einfühlung zeigt. 

In ihren Prints greift Hauer drei ABC-Fibeln auf, deren didaktisches Unterfangen ja im Vermitteln präziser Codes und, nach deren Verinnerlichung, im Ermöglichen freien sprachlichen Ausdrucks liegt. Seit jeher werden mit ihnen Anschauungen, Vorstellungen und Umsetzungen durch Assoziationsketten gelenkt, um etwa die Form der Buchstaben in Umrissen von Körpern oder Gegenständen wiederzufinden, was umso leichter gelingt, wenn die dazu eingesetzte Bildsprache einer puristisch-sachlichen Piktogramm-Stilistik folgt, wie in der von Hauer wörtlich zitierten Spielfibel „Hurra, wir lesen! Hurra, wir schreiben!“ (1930) der Malerin, Illustratorin und Kinderbuchautorin Tom Seidmann Freud (geb. Martha-Gertrud Freud und Nichte des Vaters der Psychoanalyse).

Assoziationsketten bilden in den Fibeln aber auch mit Alliteration und/oder Reim verbundene Worte. Sie führen bei Hauer in durchaus unkindliche, dezidiert nicht harmlose Vorstellungswelten, deren Absurdität in Walter Cranes „The Absurd ABC“ (1876) ein Vorbild findet. Damit ist ein frühes Beispiel aufgerufen, die Nebenwirkungen didaktischen Übereifers mit Amüsement zu lindern, auch wenn hinter der damit in den Vordergrund gespielten Sprachmelodik weiterhin eine missionarische Grundhaltung lauern mag. Schon 1862 hat Wilhelm Busch mit seinem „A-B-C-Buch auch dem Thierreich“ ähnliche Ziele verfolgt: „Im Ameisenhaufen wimmelt es / Der Aff frißt nie Verschimmeltes.“ Dichterisch antwortet dem erzieherischen Auspendeln von Zwang und Freiheit sodann das freie Spiel von Sinn und Unsinn. 

Die Verwandtschaft von Pädagogik und Performance-Kunst wird wohl in jenen Fibeln am deutlichsten, die den Buchstaben einer Pose einschreiben, wie W. T. Cranes „An Animated Alphabet“ (1861), wo Buchstaben aus spielerischen gleichwohl recht absurden Handhabungen diverser Requisiten lesbar werden. Hauer hat die in viktorianischer Betulichkeit gezeichneten Haltungen teils von Erwachsenen nachstellen lassen, die Nachstellungen wiederum zeichnerisch festgehalten, ihnen damit nicht nur ihre rüschenverliebte Verstaubheit genommen. In Kombination mit der Erwachsenensprache der gedichteten Alliterationen werden aus ihnen Bilder, deren Zielgruppe nicht zwangsläufig Kinder sind und deren Ziel nicht zwangsläufig die Alphabetisierung ist.


Wie im Aufeinandertreffen von Affenbild und Kokosnuss steckt Hauer auch im Verschneiden unterschiedlicher ABC-Fibeln Räume möglicher Aktionen ab. Sie stellt Vorbilder und Requisiten spielerischen Handelns zur Verfügung, bietet und ergründet Lesbarkeit, beschreibt Situationen, dies alles aber ohne damit konkrete Antworten oder Regieanweisungen zu liefern, oder einem bestimmten Tun gar einen konkret nachvollziehbaren Inhalt zu unterlegen. Der Sinn der damit aufgerufenen Konstellationen bleibt nur insoweit didaktisch, als er anzudeuten scheint, wie genussreich das Aufbrechen des andernorts vielleicht zweckmäßig Determinierten sein kann. Wie in der Rekontextualisierung des in der Schifffahrt verwendeten Winkeralphabets als „Semaphore Dance“ (2014) lässt sich jedenfalls aus Zweckentfremdung Poesie gewinnen. 


Ulrich Tragatschnig


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